Erschienen: 970524 in der Frankenpost

Kitschmusik mit Kultcharakter
Ein Phänomen: Bei Schlagerparties sind alle richtig glücklich

Von Christian Nürnberger

 

Wir schliefen auf dem Boden, und wir tranken roten Wein.
Waren glücklich und verrückt so wie Verliebte sind,
bis wir eines Tages merkten, sie bekommt ein Kind.
Sie sagte: ,,Rocky, ich hab' noch nie ein Kind bekommen.
Ich will es Dir gern geben. Damit ist die Zeit der Träume vorbei in unserem Leben.''
Ich sagte: ,,Kopf hoch, Baby.
Lehn' Dich an mich, es wird schon irgendwie geh'n''.

(Frank Farian, 1976)

Schlagerparty. Heißt das, all die Schnulzen von Michael Holm, Rex Gildo, Katja Ebstein, Vicky Leandros, Bernd Clüver, oder wie sie alle heißen, gnadenlos über sich ergehen lassen? Wollten wir eigentlich nicht dorthin gehen, wo was angesagt ist? In die Disco, in den Rockschuppen. ,,Nix da'', sagt mein Kumpel Christian und zupft mich am Ärmel, ,,heut' ist Schlagerparty. Zum ersten Mal. Da geht's jetzt hin.'' Okay, ich wollte mich überraschen lassen damals am Dreikönigstag kurz nach Mitternacht.
Heidi, Heidi! Deine Welt sind die Ber-her-geee. Wir hören Gitti und Erika durch die dicken Wände des Hofer ,,Rockwerks'' jodeln, obwohl wir gerade erst aus dem Auto ausgestiegen sind. Komische Gestalten in bunten Gewändern stehen an der Kasse. Lange Haare. Dunkle Brillen, die fast das ganze Gesicht verdecken. Hemdkrägen, die so groß sind, daß man sich damit ohne weiteres den Schweiß von der Stirn wischen könnte. Dazu Schlaghosen, unter denen Plateauschuhe hervorschauen. Ein Kerl mit einem farbigen Blümchen- Tuch um die Stirn kriegt an der Kasse einen Stempel auf den Handrücken. Und alle machen irgendwie einen richtig glücklichen Eindruck.


Hitzig

Draußen Minus 13 Grad, drinnen Temperaturen wie in der Sauna. Die Brille beschlägt. Ich lasse sie nach vorne auf die Nasenspitze rutschen und suche halbblind den Weg durch die Menge. Mit Gewißheit erkenne ich nur soviel: Es ist ungeheuer viel los, und der DJ hat eben Marianne Rosenberg aufgelegt.
Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür. Und ich weiß, er bleibt hier. Nie vergeß' ich unsern ersten Tag. Na na na na na na na...

Wieder zupft mich Christian am Ärmel. Diesmal etwas fester, und ich lande dort, wo das größte Gedränge herrscht, auf der Tanzfläche. Buntes Licht blitzt durch die vernebelte Luft. Eine Blondine mit blauem Lidschatten und grünen Schlaghosen hakt ihren Arm in meinen ein. Wir drehen drei, vier Pirouetten und beginnen zu gröhlen:

Ist es wahre Liebe, huh, huh, die nie mehr vergeht, huh, huh, oder wird die Liebe vom Winde verweht?

Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal dieses Lied hörte. Es muß sehr lange her sein, doch den Text hab' ich nicht vergessen. Genauso wenig wie den von ,,Biene Maja'', ,,Im Wagen vor mir...'', ,,Griechischer Wein'', ,,Fiesta Mexikana'', oder auch ,,Theo, wir fahr'n nach Lodz''.
Wir lassen uns treiben im Kitsch-Gesang der 70er. Nur der Durst zieht unsere verschwitzten Körper ab und zu von der Tanzfläche. Aber kurz vor vier Uhr ist der Zauber vorbei, denn DJ Ritzky kennt kein Erbarmen:

Gute Nacht Freunde. Es ist Zeit für uns zu geh'n. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh'n.


Ein Boom

Seit 1992 erlebt der deutsche Schlager eine Renaissance. Stätte der Wiedergeburt war München. 1992 trafen sich hier in ,,Ullos Tanzpalast'' 600 Schlager-Fans. Ein Jahr später rief die Münchner ,,Traumwelt-Entertainment'' die erste Auflage des ,,Wahren Grand-Prix'' ins Leben. Seitdem geben verschiedene Interpreten bei diesem Wettbewerb alljährlich ihre eigenen Schlager-Kompositionen zum Besten. Der Schlager-Kult wurde wiederbelebt und breitete sich flächendeckend übers ganze Land aus.
Die ,,Traumwelt-Entertainment'' tourt mit ihren Galionsfiguren Petra Perle und Rex Kildo durch die Lande. Bei diesen Konzerten treten auch Newcomer auf, ,,und oft haben wir auch alte Hasen wie Christian Anders oder Michael Holm dabei'', sagt Christoph King, ein auf Schlager spezialisierter Discjockey aus München. Die Hochburg des Kults liege, so Christoph King, in seiner Stadt: ,,Hier gibt's pro Tag drei öffentliche Schlagerfeten. Das macht in der Woche bei allen Veranstaltungen insgesamt rund 14000 Gäste.''


Früher verpönt

Ins Hofer ,,Rockwerk'' und in die Plauener ,,Alte Kaffee- Rösterei'' pilgern die Jünger von Rex Gildo erst seit Anfang dieses Jahres und erweisen den in der 80er Jahren als ,,Schnulzen-Heinis'' verpönten Künstlern ihre Ehre. DJ Ritzky vom ,,Rockwerk-Verein'' hat den Trend im Januar aus der Bayreuther ,,Rosenau'' nach Hof gebracht.
Etwa zur gleichen Zeit wagten sich auch die Macher der ,,Kaffeerösterei'' an eine Schlagerpartie heran. ,,Als beim ersten Mal um halb zehn gerade mal vier Leute da waren, dachten wir: Oh Gott, das wird ein Riesen-Reinfall'', erzählt Micha Bühring von der ,,Kaffeerösterei''. Doch schon eine knappe Stunde später strömten die Leute - viele davon in Rüschen- Hemden und Blümchen-Hosen - herbei. Die ,,Kaffeerösterei'' war ausverkauft.
In Plauen bringt DJ Olli die Schlagerfans in Verzückung. Stilgerecht mit knall-orangenem Fledermauskragen-Hemd und schlicht-grauem Jersey- Anzug ist er gekleidet. Schweißperlen rinnen von seiner Stirn, als er sich nach der nächsten CD bückt: ,,Die Biene Maja von Karel Gott, ein absoluter Renner'', sagt Olli.
Früher pumpten brummende und dampfende Maschinen schweißtreibende Temperaturen in die Fabrikhalle, und auch heute dürfte sie sich auf gut 35 Grad aufgeheizt haben. Nicht etwa deswegen, weil die Heizung verrückt spielt. Die tanzenden Schlager-Fans sind es, die die Luft zwischen den Stahlträgern an der Decke, den weißen, dicken Säulen und dem glattgelaufenen Boden dermaßen kochen lassen.
In unregelmäßigen Abständen veranstaltet die ,,Kaffeerösterei'' ihre Schlagerparties. ,,Wir wollen nicht zuviel davon machen, sonst läuft sich die Sache tot'', sagt Micha Bühring. Die nächste Party dieser Art soll im Juli steigen.
Alle vier Wochen bittet DJ Ritzky im Hofer ,,Rockwerk'' zum Schlager-Tanz. Wie erklärt er sich das große Echo auf das deutsche Trallala aus den 70er Jahren? ,,Gerade weil die Musik so einfach und anspruchslos ist, fahren die Leute darauf ab. Man will für ein paar Stunden völlig abschalten und einfach seinen Spaß haben.''


,,Fürs Herz''

Ritzkys Arbeitsplatz ist eine winzige Kammer mit Blick auf die etwa drei Meter darunter liegende Tanzfläche. Ein kleines Fenster geht auf, und ein Gast steckt seinen Kopf hindurch. ,,Kannst Du mal ,...und es war Sommer' von Peter Maffay spielen?''. ,,Logisch'', antwortet Ritzky, greift in seinen CD-Koffer und lacht, ,,manchmal braucht man halt auch was fürs Herz''.
Ist es wirklich nur die pure Sucht nach Spaß, die junge Leute in derart kitschiger Musik so aufgehen läßt? Oder sollte etwa die These zutreffen, wonach die Musik auch ein Spiegelbild der Gesellschaft ist?
Christoph King meint: ,,Durchaus: Wenn's einem wirtschaftlich nicht so gut geht, läßt man sich eben ungern politsche Weisheiten eines Konstantin Wecker um die Ohren hauen. Überspitzt könnte man vielleicht sagen: Wenn Helmut Kohl nicht schon so lange bei uns an der Macht wäre, dann würde heutzutage wahrscheinlich niemand deutsche Schlager hören.''
Kopf hoch, Baby. Es wird schon irgendwie gehn.
Wie recht doch Frank Farian hatte.


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